9. Kapitel zu Smaragdgrün von Lucy

Author: Lucy // Category: , ,
Die Briefe würde ich wohl später zu Ende lesen müssen. Ich hatte gerade noch so Zeit sie auf mein Bett rüberzuschmeißen, bevor mich Leslie gänzlich aus meinem Zimmer gezogen hatte. Sie zerrte mich an einem etwas verwundert dreinschauenden Nick vorbei, der gerade ins Badezimmer gehen wollte und sich reflexartig in den Raumzurückgezogen hatte, als Leslie mit mir im Schlepptau durch den engen Flur gerauscht war. Er war uns mit den Augen gefolgt und hatte dabei den Kopf um 270° gedreht. (Ihr wisst schon, wie in manchen Filmen, wo irgendetwas in Lichtgeschwindigkeit vorbeirast und alle im genau gleichen Moment den Kopf von der Richtung aus der das "Etwas" (in diesem Falle Leslie und ich, weiß Gott, wo Raphael geblieben ist) kommt, in die Richtung in die das "Etwas" wieder verschwindet drehen. (Nur, das Nick in diesem Fall nur eine Person war.) Es sah aber trotzdem witzig aus...)
Leslie stoppte im ausnahmsweise einmal leeren Musikzimmer. Lady Arista befand sich auf einem Teeklatsch mit lauter alten, genauso verklemmpten Damen, wie sie, die sie alle nicht ausstehen konnte (ich auch nicht, wohlbemerkt). Warum treffen sich Menschen freiwillig mit Leuten, die sie überhaupt nicht leiden können. Versteh einer meine Großmutter (dieser "eine" bin ich jedenfalls scheinbar nicht!). Und Tante Maddy hatte eine Verabredung mit ihrer Freundin Violett Purpleplum, die Charolotte immer kratzige Schals strikte (das war aber nicht der Einzige Grund, weshalb ich sie mochte). Wir hatten also freie Bahn, für eine ungestörrte Unterhaltung.
"Also, wo fangen wir an?", fragte Leslie für meinen Geschmack ein wenig zu enthusiastisch (Ich ahnte böses. Es würde heute noch viel auf mich zu kommen, da war ich mir sicher!). "Raphael, wo befinden wir uns gerade und was sind die genauen Kordinaten des Verstecks?" Der harsche Befehlston meiner besten Freundin schreckte den bis vor zwei Sekunden noch in Gedanken gewesenen Raphael auf. Wer konnte es ihm verübeln, das er unaufmerksam geworden war. Bis vorhin hatte ihn Leslie noch vollkommen ignoriert. Fast tat er mir ein bisschen leid, als ich den missbilligenden Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seiner "fast Freundin" (würde ich jetzt mal so von ausgehen, ihren Blicken am gestrigen Tag nach...) sah. Doch dann schaute ich ihm in die Augen und mir viel wieder ein, dass er Gideons kleiner Bruder war. Er hatte es verdient zu leiden. Sippenhaft! Solange ich seinen Bruder noch nicht an seinen Fußgelenken im Keller hängen hatte, konnte er für "Funkelsteinchens" Missetaten büßen.
Ich war immer noch ziemlich sauer auf Gideon. Was bildete sich dieser grünaugige Polospieler eigentlich ein? Zuerst donnert er mich mit Informationen voll und dann gibt er mir die Schuld dafür, das ich ihn küsse. Leute gibts! Echt unfassbar!
"Gwen? Gwen!" Zu spät merkte ich da die Aufmerksamkeit inzwischen auf mir lag. "Ja...", sagte ich zögerlich, aber versucht ernst. Ich hatte keine Ahnung worum es ging, aber ich stimmte ihnen jetzt mal zu, das war immer die beste Lösung. Lächeln und Nicken. Und das tat ich. "Gwen, du hast doch nicht ernsthaft nen Frosch verschluckt?" Meine beste Freundin schaute mich etwas ungläubig an. Uups... Mist! Falsche Antwort... Ich wurde rot wie eine Tomate. "Würdet ihr es mir durchgehen lassen, wenn ich sage, dass das sinnbildlich gemeint war?" Leslie schüttelte ungläubig den Kopf. "Du solltest schon ein bisschen aufmerksamer sein, schließlich machen wir das alles nur wegen dir. Aber wenn du willst, dass wir es lassen, dann sag ruhig..." Sie wirkte leicht eingeschnappt.
"'Tschuldigung", murmelte ich und senkte schuldbewusst den Kopf. (Das kam immer gut, das machte ich auch immer, wenn ich meine Hausaufgaben vergessen hatte oder meine Mom sauer auf mich war, weil ich irgendwas ausgefressen hatte. Lass sie glauben es tut dir ernsthaft leid, das wirkt erwachsen und sie verzeihen dir dann schneller. Natürlich tat ich bei Leslie nicht nur so, es tat mir wirklich leid. Schließlich war das eine Heidenarbeit und sie saß ja meistens schon die hälfte der Nach vorm Computer und googlete Sachen für mich. Sie war echt die beste Freundin die man (sorry, ich korrigiere mich) frau haben konnte.
„Den Kordinaten zu folge, liegt der gesuchte Punkt nördlich von hier, das heißt schräg nach links wenn man aus dem Raum geht.“, ließ sich nun Gideons kleiner Bruder verlauten. Ha, der Beweis! Sie waren sind alles samt Besserwisser! Liegt bestimmt im Blut. Das wird wahrscheinlich gleich mit dem Zeitreise – Gen weitervererbt (also in der männlichen Linie natürlich nur...). So, drangekoppelt irgendwie.
Und die, die kein aktives Zeitreise – Gen besitzen,bekommen das trotzdem mitgeliefert, weil es so vermutlich am praktischsten war. Musste Gott nicht erstmal unterscheiden, wer denn dann auch wirklich in der Zeit springen konnte. Er hat es dann scheinbar ganz einfach so geregelt das alle es bekommen. Im Prinzip keine schlechte Idee, das stellt sicher, das er nicht aus Versehen jemanden vergisst. Allerdings stellt sich dann doch die Frage: Wozu überhaupt diese Überdosis an Arroganz? Ist ja scheinbar nicht lebensnotwendig: Leslie ist jetzt schon bald ganze siebzehn Jahre und sie ist bisher noch nicht tot umgefallen, mangels fehlender Arroganz... Okay, ich driftete wieder ab! Konzentriere dich Gwendolyn!
„Schräg Links? Da geht es zur Bibliothek! Aber da ist nichts! Ich hab ja schon jedes Regal durchsucht auf der Suche nach einem Hinweis zum grünen Reiter. Und Geheimgänge in diesem Haus, die wr nicht kennen, gibt es auch nicht. Das haben Leslie und ich schon vor Jahren sichergestellt!“
„Es muss ja nicht in diesem Stockwerk liegen.“, erwiderte „le petit franzose“ neunmalklug. „Lasst uns lieber im untersten Stockwerk anfangen!“ Ich hielt ja nichts davon, aber Leslie war ganz begeistert von der Idee, jedes Stockwerk einzeln und nacheinander zu durchsuchen. Sie und ihre Systematik!

Lustlos schleifte ich hinter den anderen die Treppe herunter. Unterhalb des Musikzimmers lag der Ballsaal, in dem ich Nick das Fahrradfahren beigebracht hatte und der (meiner Meinung nach) zu nichts anderem sinnvollen nützlich war. Raphael lief ein paar mal im Raum hin und her, bis er die Stelle gefunden hatte, an der er eben gesessen hatte (nur ein paar Meter höher). Er wies uns in Richtung der Besenkammer, in der ich nach meinem zweiten Zeitsprung zurückgesprungen war. Sie war voll mit nutzlosen Gerümpel meiner Vorfahren (ganz ehrlich: Was tut man mit einem getrockneten Krokodiel? Wenn irgendjemand mir einen sinnvollen Verwendungszweck nennen könnte, ich würde meine Ansicht dazu sofort ändern! Aber bis dahin denke ich, dieses Krokodiel ist eines der kuriosesten Dinge, die ich in meinem Leben bisher zu sehen bekommen habe.)
Leslie öffnete die Tür, von der über die Jahre hinweg schon einiges an Farbe abgeblättert war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie nachzustreichen. Selbst meine Ordnungs liebende Großmutter hatte es nicht für nötig befunden, da der Raum sowieso nie für irgendwelche sozialen Veranstaltungen genutzt wurde (also der Ballsaal, nicht die Besenkammer!)
Eine Weile stöberte Leslie zwischen dem ganzen Müll herum. Leider konnte ich ihr nicht helfen, nicht nur der Türrahmen aus dem die Hälfte von Leslie rausschaute,  auch der Raum dahinter, waren schlicht und ergreifend einfach zu klein für zwei Personen.
Nach einer Weile tauchte der Kopf meiner besten Freundin wieder auf. In ihrer Hand hielt sie eine schwarze Schachtel, etwas größer als ein normales Buch. „Hier, vielleicht ist das was!“ Sie reichte mir das ungewöhnlich schwer für seine Größe erscheinende Paket. „Nun mach schon auf!“, drängte sie mich ungeduldig. Ich  öffnete den etwas angerosteten Verschluss der Box und klappte den Deckel hoch. Dort lag etwas, eingehüllt in roten Stoff. Vorsichtig schlug ich den blutfarbenden Samt zurück...

0 Responses to "9. Kapitel zu Smaragdgrün von Lucy"

Kommentar veröffentlichen